Der Westhausener Silvesterritt und die Silvesterkapelle

Ein über 380 Jahre altes Brauchtum und weithin sichtbares Zeichen des Vertrauens auf Gottes Hilfe in Not

Eine gute Antwort auf eine große Not

Als Erinnerung an Jahre schwerer Heimsuchung und des Vertrauens auf Gottes Hilfe steht seit über 380 Jahren die Kapelle zu Ehren des Hl. Papstes Silvester in Westhausen. Als Ziel und Mittelpunkt des altüberkommenen Silvesterrittes zieht sie jährlich zahlreiche Wallfahrer aus der näheren und weiteren Umgebung an.

Eine seit 1610 in der Gemeinde Westhausen und Umgebung wütende Viehseuche, Lungenfäule genannt, brachte die Bauern in große Not. Sie steigerte sich noch mit dem Ausbruch des 30-jährigen Krieges. 16 Jahre schon waren es, dass man fast kein Stück Vieh gesund durchbrachte. Da gelobte die Gemeinde auf Veranlassung ihres Pfarrers Kaspar Schmid, zu Ehren des Heiligen Papstes Silvester eine Kapelle zu bauen, wenn sie von der Heimsuchung befreit würde. 1626 hörte die Seuche auf und das Gelöbnis wurde eingelöst. Auch kam der Brauch auf, am Festtag des Heiligen mit Pferden zur Kapelle zu reiten und in einem Fruchtopfer den Dank für Gottes Hilfe darzubringen.

Hunderte Reiter treffen sich jährlich zum Silvesterritt in Westhausen

Silvesterkapelle
Silvesterstraße 22
73463 Westhausen

Die Silvesterkapelle

Noch im Jahre 1626 begannen Kirchenpfleger Caspar Kress und seine Gesellen die Kapelle zu bauen. Sie fand ihren Platz, wo sich die damaligen Heerstraßen von Ellwangen und Aalen her vereinigten.
Wie die Pfarrchronik berichtet, kamen die Wallfahrer aus nah und fern immer zahlreicher. So erwies sich bald die ursprüngliche Kapelle als zu klein.
Im Jahre 1685 wurde die seitherige Kapelle abgebrochen, an einer noch günstigeren Stelle von Grund auf neu gebaut und 1726 eingeweiht.
Der schlichte Barockbau mit Dachreiter über dem Eingang und einer wuchtigen Steinplastik des Hl. Silvester in einer Nische der Apsis nach außen hat im Innern zum Mittelpunkt einen reich geschnitzten Altaraufbau, der eine formschöne, lebensgroße Statue des Kapellenpatrons trägt, zu seiner Rechten ein Lamm, zu seiner Linken ein Ochse. An  der Rückwand ist noch das erste Altarbild zu sehen, darauf dargestellt die Muttergottes mit dem Jesuskind, St. Ottilia und Papst Silvester.
Eine gründliche Renovierung erfuhr die Kapelle in den Jahren 1959/60. Zwei weitere Außenrenovierungen  in den Jahren  1983 und 2000 waren erforderlich mit einem Kostenaufwand von 180 000 DM. Zum 375 jährigen Jubiläum erfolgte eine weitere Renovierung und seither  erstrahlt das Heimatheiligtum in neuem Glanz zur Freude aller Reiter und Pilger aus nah und fern.

Die noch heute bestehende zweite Silvesterkapelle von 1726

Papst Silvester und das Pferdepatronat

Papst Silvester I. wurde am 31. Januar 314  zum 32. Nachfolger des Heiligen Petrus als Bischof  von Rom gewählt. Seine Amtszeit fällt mit der Regierungszeit Kaiser Konstantins (306-337) zusammen. Am 31. Dezember 335 starb der heilige Silvester und wurde am gleichen Tag beigesetzt.
Die Legende berichtet von einer Auferweckung eines toten Stieres. Diese könnte die Veranlassung geboten haben, Papst Silvester als Patron in den Anliegen, die in Zusammenhang mit Tieren stehen, um seine Fürsprache zu bitten. Papst Silvester wurde und wird als Pferdeheiliger und als Patron des Viehs gerade im Gebiet der ehemaligen Fürstprostei Ellwangen und darüber hinaus  verehrt. Aus diesem Gebiet kommen auch die Reitergruppen zum Silvesterritt nach Westhausen. Mit seiner über 380-jährigen Geschichte gehört er zu den ältesten Reiterprozessionen unseres Landes.

Die Reiterprozession im Spiegel der Jahrhunderte

Nach dem Neubau wurde die Silvesterkapelle das Ziel zahlreicher Prozessionen aus den Nachbargemeinden.
„Das Jubiläum ist 1726 gehalten worden, allwo Herr Ferdinand Jakob Freyhard Deutschordenspriester Pfarrer war.“ Dieser Zusatz auf dem ersten Altarbild ist das Echo der Freude, mit welcher das 100-jährige Jubiläum der Silvesterkapelle vom 4.-11. November 1726 begangen wurde.

Der Zug der Wallfahrer hielt das ganze 18. Jahrhundert hindurch an, wie die Aufzeichnungen der Kapellenpflege über die eingegangenen Opfer beweisen.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde es still um die Silvesterkapelle, weil der Josefinismus und die Säkularisation sowie die württembergische Regierung allem Wallfahren abhold war.
In diesen Jahrzehnten wollte man alles blühende kirchliche Leben vernichten. So musste 1826 die Feier des 200-jährigen Jubiläums unterbleiben. Doch blieben die Wallfahrer nicht aus. Sie kamen nicht mehr in Scharen und feierlichen Prozessionen, aber sie kamen einzeln zu Fuß und zu Pferd, besonders am Silvestertag, um in der Mittagszeit dem bei der Kapelle wartenden Kirchenpfleger ihr Opfer abzugeben.

Der Brauch, die Kapelle dreimal anzureiten, ist gewollt oder ungewollt eine Erinnerung an die zur Blütezeit der Wallfahrt üblichen jährlichen drei Umritte um die Felder und die Kapelle.

Nach dem Ende des 1. Weltkrieges kam Pfarrer Wilhelm Kohler nach Westhausen, der den Silvesterbrauch neu aufleben ließ. So wurde die 300-Jahrfeier ein Glanzpunkt in der Geschichte dieses Rittes. 1926 kamen 190 Reiter nach Westhausen und die Zahl  der Wallfahrer und Pilger  wurde auf 5000 geschätzt.

In den Zeiten des zweiten Weltkrieges gingen die Zahlen wieder zurück, es kamen in den Jahren 1939 – 1943 zwischen 38 und 53 Reiter. Am 31.12.1944 musste die Reiterprozession wegen dauerndem Fliegeralarm ausfallen. Reiterführer Johann Alender vermerkte dazu in seinem persönlichen Reiterbüchlein: “Einzelne Reiter kamen – keine Angst vor Hitler.“ Bereits 1945 waren es wieder 152 Reiter. 1948 kam Pfarrer Carl Anton Schips in die Jagsttalgemeinde. Er baute eine neue Silvesterreitergruppe auf und gestaltete den Ritt neu. An Ostern 1949 zog eine stattliche Prozession  mit 250 Reitern durch die mit 3000 Wallfahrern gesäumten Straßen.

Anfang der sechziger Jahre ging die Teilnahme beängstigend zurück. Waren es 1960 noch 140 Reiter, 1961 130, 1962 90, ging 1964 die Zahl auf 56 zurück. Das Pferd wurde in der Landwirtschaft immer mehr durch den Traktor verdrängt. Es drohte die Gefahr, dass der Silvesterritt für immer der Vergangenheit angehören würde. 1966 war der Bann gebrochen, das Pferd wurde für den Reitsport entdeckt und so stieg die Zahl erstmals wieder auf über 100 an.

Ein besonderer Festtag war der 31. Dezember 1976, an dem die 350-Jahrfeier des Silvesterritts begangen wurde. Ehrengast war der Bischof unserer Diözese Rottenburg-Stuttgart, Dr. Georg Moser. Er feierte in der festlich geschmückten Silvesterkapelle die Pilgermesse. Die Abschlussfeier fand wegen der großen Besucherzahlen und den 190 teilnehmenden Reitern auf dem Platz vor der Propsteischule statt, bei der Bischof Moser bei eisiger Kälte eine zündende Ansprache hielt. Gerade dieses Jubiläum fand ein großes Echo auch über die Grenzen des Ostalbkreises hinaus. Das Fernsehen, überregionale Presse, Kulturzeitschriften und Wallfahrtsführer berichteten in den Folgejahren von diesem Jahrhunderte alten Brauchtum. Für Busreisen aus dem nord- und westdeutschem Raum war der Silvesterritt in den letzten Jahren ein Programmpunkt.

2001 feierte der Rottenburger Diözesanbischof Dr. Gebhard Fürst an zwei Tagen das 375 jährige Jubiläum. Am 30.12. war ein großer Festgottesdienst mit den Abordnungen der Reitervereine in der Pfarrkirche; ein Festakt im Pacellihaus schloss sich an, bei dem treue Silvesterreiter geehrt wurden. Nach der Pilgermesse in der Silvesterkapelle am Silvestertag zog eine große Reiterprozession durch die Gemeinde, die mit der Segensfeier und der Ansprache des Bischofs auf dem Rathausplatz endete.

Bereits 1980 stieg die Zahl der Reiter auf über 200 mit jährlicher Steigerung, 2006 wurde die höchste Reiterzahl seit der 300-Jahrfeier 1926 mit 279 Pferden verzeichnet.

(Text von Erich Hoffmann, Vervielfältigung – auch in Auszügen – nur nach schriftlicher Genehmigung durch den Autor)

Der Heilige Silvester I. (314-335 Bischof von Rom/Papst)